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Jürgen Heß: Alles bio, oder was?
Der „Bio-Papst“ zu Gast beim Ernährungsrat Oldenburg – Prof. Dr. Jürgen Heß im Gespräch
Der „Bio-Papst“ zu Gast beim Ernährungsrat Oldenburg. Landwirtschaft in der Klimakrise: Kann die Öko-Landwirtschaft die Welt ernähren? Prof. Jürgen Heß stellt die richtigen Fragen in Bezug auf ökologische Landwirtschaft. In Interview hat er dieses komplexe Thema souverän erklärt.
Ist Bio wirklich besser?
Nur drei krasse Fakten in Zeiten der Klimakrise: Ein Drittel der Lebensmittel, die weltweit hergestellt werden, werden weggeschmissen. Die Lebensmittelindustrie verursacht zwischen 19 % und 29 % der weltweiten Treibhausgase. Und: Der Wasserfußabdruck von Fleisch ist groß. In einem Kilogramm Rindfleisch stecken im globalen Durchschnitt sage und schreibe 15.415 Liter Wasser.
Sich mit dem Thema Ernährung auseinanderzusetzen ist also mehr als lohnenswert. Und so hat der Ernährungsrat Oldenburg zu einem Vortrag mit dem Titel geladen „Bio-Landwirtschaft: Hype oder Zukunft?“ Vortragender war nicht mehr und nicht weniger Professor Dr. Jürgen Heß, eine Art deutscher „Bio-Papst“, der sich mehr als 40 Jahre seines Berufslebens mit der ökologischen Landwirtschaft beschäftigt hat.
Die Frage ist: Ist Bio wirklich besser? Na klar ist es das. Und: Kann die Öko-Landwirtschaft die Welt ernähren? Diese Frage ist falsch gestellt, denn die konventionelle Landwirtschaft kann das nicht, denn sie trägt mit dazu bei, den Planeten zu zerstören. Bio isst einfach besser, sprich klar im Vorteil gegenüber der konventionellen Landwirtschaft.
Der biologische bzw. ökologische Landbau ist eine besonders ressourcenschonende und umweltverträgliche Form der Landwirtschaft. Er wirtschaftet im Einklang mit der Natur. Der Ökolandbau erhält und schont die natürlichen Ressourcen und hat vielfältige positive Auswirkungen auf die Umwelt, zum Beispiel: Ökologische Landbaumethoden sind am besten an den Klimawandel angepasst und reduzieren die Klimaemissionen. Er schützt den Boden. Ökologische Landbaumethoden fördern die Humusbildung und das Bodenleben. Die natürliche Bodenfruchtbarkeit steigt an.
Malin Grahl aus der jungen klima-werkstatt hat vor dem Vortrag mit Jürgen Heß gesprochen.
100 Jahre Bio-Landwirtschaft
Die nicht entdeckte Karriere ökologischer Lebensmittel
Derzeit werden ca.15 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ökologisch genutzt. Von daher wundert es nicht, dass die konventionelle Landwirtschaft weiterhin den Markt beherrscht. Bauernproteste und die andauernde Verwendung des hochumstrittenen Pflanzenvernichtungsmittels Glyphosat in der EU sind wahrnehmbaren Zeichen. Für die meisten Konsument:innen gilt: lieber billige industrielle Lebensmittel kaufen als teuere Bio-Produkte. Wie soll in dieser Situation eine Wende zu mehr ökologischer Landwirtschaft gelingen?
Das erklärt in seinem Interview mit der junge klima-werkstatt Prof. Dr. Jürgen Heß, ehemaliger Fachgebietsleiter für Ökologischen Land- und Pflanzenbau an der Universität Kassel. Der Vorstandsvorsitzende des Forschungsinstituts für biologischen Landbau Deutschland (FiBL.de) weiß so Vieles und noch mehr über die guten Seiten der Zukunft.
Heß hat so viel erlebt in den vergangenen vier Jahrzehnten im Wissen um den Ökolandbau, dass es ihn kalt lässt, wenn Markus Söder (CSU), Bayerns bekanntester Ernährungsinfluencer, gegen die vegane Lebensweise polemisiert.
Die neue Bundesregierung war noch gar nicht im Amt, da hatte der Kulturkampf schon begonnen. Auch der mit Messer und Gabel. Denn Heß weiß: Die bei der Fleischerzeugung in Deutschland anfallenden Kosten durch Umwelt- und Klimaschäden belaufen sich auf rund 21 Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kommen Gesundheitskosten in Höhe von gut 16 Milliarden infolge übermäßigen Konsums von rotem Fleisch, Schinken und Wurst. Soweit die Fakten, Fakten, Fakten.
Die aber lassen den bayerischen Ministerpräsidenten kalt. Seine geistig-moralische Wende wider Gendern, Wokeness und die ganze als links gebrandmarkte Identitätspolitik geht durch den Magen.
Die Zahl der Vegetarier:innen in Deutschland steigt stetig und liegt inzwischen bei 8,43 Millionen Menschen. Ihre Motive sind erforscht: Es geht um ethisches Handeln, Tierwohl, Gesundheit oder Klimaschutz. Schon 2013 wurde eine Studie zur Sicherung der Welternährung und zur übermäßigen Ressourcenverschwendung durch Tierproduktion vorgelegt | Uni Hohenheim
Der Stuttgarter Jugendrat verlangt seit acht Jahren gesünderes Essen in Mensen und Fleisch nur noch an zwei Tagen pro Woche. Die Heinrich-Böll-Stiftung schreibt einen Atlas fort, um regelmäßig neue Daten und Fakten über Tiere als Lebensmittel herauszufinden und publik zu machen | Böll-Stiftung
Will sagen: Kenntnisse gibt es gar viele seit langem. Allein, es fehlt konkret die Umstellung auf die komplette Umstellung auf ökologische Lebensmittel. Aber ach: Wie Katholik:innen die bessere Welt in die Sonntagspredigt auslagern, so lagert die Gesellschaft ihre Zukunftsalternativen in ein realpolitisch unfähiges Nirwana aus, von dem auch heutzutage keine Verwirklichungsgefahr ausgeht wider besseren Wissens.
Jürgen Heß beim Ernährungsrat in Oldenburg
Der Ernährungsrat Oldenburg ist ein beratendes Gremium, welches eng mit der Stadtpolitik und -verwaltung zusammenarbeitet. Dabei besteht er aus Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, der Initiativenlandschaft, der Landwirtschaft, der Wirtschaft, der Politik und der Verwaltung. Der Ernährungsrat regt einen aktiven Dialog dieser Akteur:innen an, um so langfristig zukunftsfähige Strukturen für eine möglichst regionale Versorgung mit Nahrungsmitteln aufzubauen. Jürgen Heß war auf Einladung des Ernährungsrats zu Besuch im Core in Oldenburg.
Prof. Dr. Jürgen Heß ist Vorstandsvorstitzender des Forschungsinstituts für biologischen Landbau e.V. (FiBL). Er leitete bis 2021 das Fachgebiet Ökologischer Land- und Pflanzenbau der Universität Kassel und konnte sein Wissen an viele Tausende Studierende weitergeben. Prof. Dr. Jürgen Heß ist in zahlreichen Gremien wie z.B. dem Wissenschaftlichen Beirat des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und dem Begleitausschuss Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖLN/BLE) engagiert. Für sein Lebenswerk erhielt Prof. Dr. Jürgen Heß 2024 die Professor-Niklas-Medaille vom Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, mit der Personen mit besonderen Leistungen für Land-, Ernährungs- und Forstwirtschaft ausgezeichnet werden.
Vortrag
Im Anschluss an das Interview hat Jürgen Heß sein Thema in großer Breite einem interessierten Publikum vorgestellt.
Jürgen Heß: Bio-Landwirtschaft. Jede Entscheidung, die wir treffen, hat Einfluss auf unsere Umwelt – eine Wahrheit, die Prof. Jürgen Heß verinnerlicht hat und in seinem Vortrag zur Öko-Landwirtschaft mit uns teilt. Wie wir im Supermarkt über unsere Umwelt entscheiden, erfahrt ihr hier. April 2025 | Themenseite
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Mediathek. Landwirtschaft, Ernährung und Ökologische Bildung sind ein Themenfeld, zu dem wir von Anfang an immer wieder berichtet haben. Podien, Interviews, Vorträge aber auch Jugend- und Schulprojekte in diesem Thema sind ein Schwerpunkt unserer Arbeit, den wir euch hier gerne vorstellen | Themenseite
Projekt und Förderer
Die junge klima-werkstatt ist ein Projekt unter dem Dach von Werkstatt Zukunft in Kooperation mit Oldenburg eins und weiteren Bürgersendern.
Die junge klima-werkstatt wird als Preisträgerin des Jugend-Klima-Wettbewerbs gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz in Kooperation mit der Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen
(KEAN) und der NBank.
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