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THEMEN > UMWELT – NACHHALTIGKEIT – KLIMASCHUTZ

Mit der Natur lässt sich nicht verhandeln

Die Klimakrise spitzt sich rasant zu, die Wirtschaft passt sich kaum an

Von Barthel Pester, Dezember 2022

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„Was macht unsere Eltern nur so ratlos?“ fragt sich Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Der Nachwuchs verzweifelt an den älteren Generationen. Die Klimakrise gefährde die Zukunft, doch unablässig entstehen immer mehr Treibhausgase. Genauso wenig kann sie begreifen, warum die langjährige deutsche Kanzlerin weitgehend untätig blieb: „Merkel ist Physikerin. Müsste sie da nicht verstehen, was es bedeutet, wenn Klimagraphen in die Höhe rasen?“

Warmduscher verändern wenig

Ich bin mir sicher, dass die tatsächlichen Dimensionen der Klimakrise nicht einmal ansatzweise in unserer Wahrnehmung angekommen sind. Die heftigen Zerstörungen im Globalen Süden seit vielen Jahren werden von uns schlicht verdrängt weil weit weg. Die Fluten im Ahrtal im Sommer 2021 haben uns nicht länger erschrocken trotz der räumlichen Nähe. Die Tornados in Ostfriesland und in Kiel ein paar Wochen später? War da was? Bei keinem anderen Thema ist die zeitliche Lücke zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und gesellschaftlichem Handeln so groß wie beim Klima.

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Dabei ist der Klimawandel für den Staat rechtlich ein entscheidender Auftrag. Das geben Artikel 20a Grundgesetz und der Klimabeschluss des Verfassungsgerichts eindeutig vor. Die Letzte Generation nimmt buchstäblich ernst, was Gesetzeslage ist. Damit stellt sie die Politik bloß, die darauf panisch und absurd reagiert. Dass es die Letzte Generation überhaupt gibt, liegt an der fatalen Klimapolitik der letzten Jahrzehnte.

Politisch Verantwortliche auf kommunaler bis europäischer Ebene trauen sich nicht, Zukunft zu ermöglichen. Sie vermeiden, zerstörerischen Konsum durch Verbote einzudämmen und katastrophenförderndes Wirtschaften zu überwinden. Aber sie müsste dieses System nicht noch stützen.

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Ein Blick auf den Autoverkehr zeigt, wie dieser jährlich in Deutschland gefördert wird: die Steuerprivilegien wie die niedrigere Energiesteuer auf Diesel (8,2 Milliarden Euro), das Dienstwagenprivileg (4,4 Milliarden) oder eine Pendlerpauschale (6 Milliarden), die vor allem das Autofahren günstiger machen. Hinzu kommen Steuerbefreiungen fürs Fliegen: Der Staat erhebt weder eine Energiesteuer auf Kerosin (8,4 Milliarden) noch eine Mehrwertsteuer auf Auslandsflüge (4 Milliarden). Diese Privilegien führen zu immensen Steuerausfällen und stellen de facto Subventionen dar. Meist sind sie ungerecht, da vor allem Besserverdienende profitieren. Klimapolitisch sind sie fatal, denn sie konterkarieren alles, was den Verkehr klimaschonender macht. Mit den zusätzlichen Einnahmen ließen sich Bus-, Bahn-, Rad- und Fußverkehr locker ausbauen.

Ebenso wichtig sind für eine tatsächliche Mobilitätswende die Aspekte des Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutzes, der Verkehrssicherheit, Teilhabe und die Sozialverträglichkeit. Die Probleme der Verkehrspolitik sind also größer: Sie können nur mit einem großen Wurf beseitigt werden. Kommunalpolitik bis Brüssel dagegen zementiert den Status quo. Sie klammert sich an den Verkehr der Gegenwart auf Kosten einer lebenswerten Zukunft.

Wir müssen also politisch ehrgeiziger unsere Klimaziele umsetzen: Wir können kein Omelette backen, ohne ein paar Eier zu zerschlagen. Proteste um gemeuchelte Parkplätze für Autos sind vorhersehbar und gehören zur Verkehrswende wie die Speichen ins Rad. Fakt ist: Es waren in der Geschichte immer radikale Minderheiten, die Veränderungsprozesse in Gang brachten, indem sie ein Thema auf die Agenda setzten und Gruppen entschlossener Engagierter bildeten, die die Veränderungen in Gang brachten.

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Ob es eine Schocktherapie for future braucht ist umstritten. Der Wiener Sachbuchautor Robert Misik tendiert zu einer gewissen Radikalität von Klimaprotesten: „Die Gefahr beim moderaten Engagement ist, dass man wegen des Wunsches, anschlussfähig an Mehrheiten zu bleiben, die gesellschaftsverändernden Forderungen und Programmatiken so weich spült, dass am Ende kaum etwas davon übrig bleibt. Oder im schlimmsten Falle, dass man sich an eine imaginierte Mehrheit so anschmiegt, dass man unfähig wird, diese Mehrheit in die eigene Richtung zu verschieben.“

Vieles bewegt sich seit dem Bericht des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ vor 50 Jahren in die richtige Richtung, aber alles verändert sich zu langsam. Es braucht eine neue Erzählung, wie das Weniger zu einem Besseren werden könne: Fleischarme Ernährung, Städte mit reduziertem Autoverkehr. Fest steht meines Erachtens, dass es vor allem eine Frage der Gerechtigkeit ist: Global und in einzelnen Ländern müssten die Reichen ihren Konsum reduzieren, damit für die Armen das Nötigste übrig bleibe. Dieses weniger (für sehr Wenige) wäre besser (für sehr, sehr Viele).

Apropos Menschen: Nicht zu viele Menschen sind das Problem, sondern Menschen, die zu viel verbrauchen. Es gilt auch in Deutschland, dass die Emissionen sehr ungleich verteilt sind. Das reichste Hundertstel stößt pro Kopf und Jahr enorme 117,8 Tonnen an Klimagasen aus, bei den unteren 50 Prozent sind es nur ganze 5,9 Tonnen. Es ist eigentlich sehr einfach: Wenn Klimaschutz gelingen soll, müssen vor allem die Reichen verzichten.

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Apropos Verzicht: Der Chefreporter der taz, Peter Unfried, hat es neulich so formuliert: „Verzicht ist verständlicherweise eine Zumutung für eine liberaldemokratische Fortschrittsgesellschaft, die gerade erst begreift, dass ihre sozialen und emanzipatorischen Errungenschaften auf zukunftszerstörendem Verbrennen von fossilen Energien und freiheitsgefährdenden Abhängigkeiten von russischem Gas und chinesischem Markt beruhen.“

Zu verzichten wäre die einzig sinnvolle Handlungsoption. Der Preis ist klein: Zum Beispiel Eier, kulinarisch eher zweifelhaft, von daher ersetzbar. Und das Ei ist, wie alle Tierprodukte, ein Klimakiller: Sein CO2-Äquivalent beläuft sich laut Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung aufs Dreifache des Eigengewichts. Selbst wenn die 20 Milliarden Eier, die die Deutschen jährlich vertilgen, alle nur in der Gewichtsklasse S lägen, würden ohne sie 3.000.000 Tonnen Treibhausgas gespart.

Natürlich macht Russlands Angriffskrieg Geopolitik seit Februar 2022 nicht gerade einfacher. Doch russisches Gas gegen Gas aus dem autokratisch regierten Katar und ausgerechnet gegen besonders umweltschädliches US-amerikanisches Fracking-Gas zu tauschen verblüfft mich. Dadurch wird nichts besser, nur teurer. Die Energieverbräuche müssten drastisch sinken. Tun sie aber nicht. Es geht mit Rekordtempo in genau die falsche Rechnung, siehe Erderhitzung. Der weltweite Kohleverbrauch wird der Internationalen Energieagentur zufolge in diesem Jahr so hoch liegen wie nie zuvor. Anstatt allüberall Energie einzusparen verdienen global einige wenige Energieunternehmen noch mehr. Es greift das bewährte Muster, wenn Gewinne privatisiert und Umweltschäden auf die Gesellschaften abgewälzt werden. Weniger ist auch in diesem Fall besser. Böse formuliert: schrumpfen statt wachsen.

Die seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine gestiegenen Lebensmittelpreise sind eine Ursache dafür, dass die Zahl der Hungernden weltweit nach Angaben der Vereinten Nationen auf 828 Millionen gestiegen ist. Doch Achtung: 10.000 Tonnen Weizen werden jeden Tag in der EU als Biosprit in Verbrennungsmotoren verheizt. Genug, um davon Tag für Tag 15 Millionen Brote zu backen. Hinzu kommt, dass Agrosprit klimaschädlicher ist als Erdöl, wenn man die Folgen des hohen Flächenverbrauchs einkalkuliert.

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Nach dem jüngsten Sachstandsbericht des IPCC wird der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts im „Worstcase-Szenario“ mindestens 62 Zentimeter gegenüber dem Stand von 2014 steigen. Der weltweite Pegelanstieg entsteht vor allem durch „thermische“ Ausdehnung, wärmeres Wasser braucht mehr Platz. Mehr als 90 Prozent jener Energie, die der menschgemachte Klimawandel bislang fabriziert hat, haben uns die Ozeane abgenommen. Mittlerweile haben sich die Meere bis in 2.000 Meter Tiefe aufgeheizt. Die Wärmeausdehnung ist für etwa ein Drittel des globalen Meeresspiegelanstiegs von durchschnittlich etwa 6 Zentimeter verantwortlich, der seit 2004 beobachtet wurde.

Das Neue an der Studie ist, das die Wissenschaftler:innen nicht mit Klimamodellen in die Zukunft geschaut, sondern nachgemessen haben, was sich in den letzten zehn Jahren auf Grönland abgespielt hat. Demnach schmilzt der Eispanzer doppelt so schnell wie bislang angenommen. Selbst wenn die Menschheit sofort aufhört, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen, der grönländische Eisschild würde trotzdem weiter schmelzen und in den kommenden Jahrzehnten 110 Billionen Tonnen Eis verlieren. Allein durch Grönland, berechnet die Studie, wird der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts um mindestens 78 Zentimeter steigen.

Mit der Natur lässt sich nicht verhandeln. Wenn diese globale Wirtschaft und ihre Auswüchse, wie es scheint, nicht mit dem Klimaschutz vereinbar sind, wer wird sich wohl durchsetzen? Also: Eine friedliche Gesellschaft weltweit erreichen wir am besten durch eine gute Klimapolitik.

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